Mehr Mut zu Intuition und professioneller Entscheidungskultur

Zusammenfassung eines Interviews, das Andreas Zeuch mit mir geführt hat.

Buch von Andreas Zeuch über Intuition und gegen paradoxe PseudorationalistenSeit ein paar Monaten bin ich in einem spannenden Austausch mit Andreas Zeuch, Berater und Buchautor. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Intuition im Unternehmenskontext und wie man Rahmenbedingungen schafft, damit eine effektive Entscheidungskultur unter intensiver Nutzung professioneller Intuition entstehen kann. Sein ganz tolles Buch „Feel It! – So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ beschreibt u.a. die fünf Komponenten, die dafür wichtig sind:Anfängergeist, Selbstorganisation, Fehlerfreundlichkeit, Möglichkeitsräume und Vertrauen. Wir haben uns in Heidelberg getroffen, freundlicherweise hat uns Christian Deutsch, freier Journalist, sein Büro zur Verfügung gestellt – so konnten wir das Interview in ungestörter Atmosphäre führen. Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung, das komplette Interview gibt es auf der Plattform „Das Abenteuer Leben“ bzw. „Das Abenteuer Intuition“ oder auf iTunes.

Hinter den Übrschriften sind übrigens immer die entsprechendn Zeiten im Interview angegeben, damit Sie direkt zu der passenden Stelle finden.

Hierarchien in Unternehmen (6:15)

Beim ersten Punkt dreht es sich um die Organisation von Unternehmen. Aus meiner Sicht werden klassische Hierarchien heute vielfach eher aus Hilflosigkeit als aus Überzeugung heraus aufrecht erhalten. Heutige Unternehmenssysteme sind nicht mehr zentral steuerbar, weil die Umgebungskomplexität immer größer wird. Stattdessen bräuchte man Organisationsprinzipien, die auf mehr Selbstorganisation und Emergenz setzen, sowie organisch sind, also sich selbst entsprechend an die Umgebungsbedingungen anpassen können. Hier sind insbesondere systemtheoretische Ansätze komplexer adaptiver Systeme interessant. Deshalb sollten in den Unternehmen die Entscheidungsbefugnisse auch möglichst dort verankert werden, wo die Entscheidung am besten, am schnellsten und am günstigsten getroffen werden kann. Dort also, wo die notwendigen Informationen ohnehin vorhanden sind und auch alle Details und Rahmenbedingungen bekannt sind. Dazu muss aber der Sinn der Tätigkeit im Zusammenhang mit übergeordneten Zielen und Strategien bei allen Mitarbeitern bekannt sein – und daran hapert es meistens noch.

Wir sprechen dann noch darüber, wie man nun diese neuen Organisations- und Führungsprinzipien im Unternehmen einführt. Dazu ist festzustellen, dass uns auch hier unsere Wahrnehmungsfilter, die durch unsere Grundüberzeugungen geprägt sind, sicherlich einen Streich spielen. Wer daran glaubt, dass klassische, zentralistische Ansätze der Unternehmenssteuerung besser sind, der wird alle Signale, die gegen diese Sicht sprechen, erst gar nicht wahrnehmen (wollen). Man muss also am Ende bei der Unternehmensleitung ansetzen und eine neue Sicht auf Führung und Management vermitteln – eine schwere Aufgabe…

Möglichkeitsräume (14:00)

Die Idee der Möglichkeitsräume besagt, dass Mitarbeiter neben ihren definierten Aufgabenbereichen Freiräume bekommen (wie z.B. die 20-Prozent-Regel bei Google) und wie man das dann organisiert. Da ist zuerst zu überlegen, ob und warum definierte Arbeitsplatzbeschreibungen Sinn machen. Sicherlich ist es für die Funktionalität eines Teams wichtig, dass man gegenseitig die Aufgaben und Zuständigkeiten kennt. Allerdings sollten diese eher in einem dynamischen Prozess laufend untereinander abgestimmt werden und nicht statisch in Aufgabenbeschreibungen festgehalten werden. Wenn plötzlich eine neue Herausforderung ansteht, dann ist es sicherlich nicht hilfreich, wenn erst einmal jeder in seine Arbeitsplatzbeschreibung schaut um herauszufinden, was zu tun ist. Gerade in den agilen Methoden der Softwareentwicklung wie z.B. SCRUM werden entsprechende Mechanismen der gegenseitigen Vereinbarung sehr erfolgreich verwendet. Die Grundidee dabei ist, dass jeder das macht, was er am besten kann. Am Ende des Tages aber zählt natürlich die Leistung insgesamt und wenn eine Aufgabe nicht gemacht ist, dann ist das Team insgesamt verantwortlich.

Zu den definierten Kontingenten (20%) ist zu sagen, dass es doch sehr auf die Art der Tätigkeit ankommt, wie viel definierter Freiraum sinnvoll ist. Ich erwähne auch im Interview die Metapher vomFormel-1-Rennstall. Die brauchen während der Designphase eines neuen Rennwagens ganz viele kreative Freiräume, denn nur so kommt ein überragender Entwurf zustande. Während des Boxenstopps aber wäre Kreativität tödlich, da kommt es auf 100% Präzision an und jeder Handgriff muss sitzen. Manchmal also sind 20% kreative Freiräume viel zu wenig und manchmal viel zu viel.

Es geht also eher um Möglichkeitsräume als „innere Haltung“, wie Andreas Zeuch das dann im Interview auf den Punkt bringt. Es sollte also jeder möglichst frei in Abstimmung mit den anderen Teammitgliedern und den Führungskräften entscheiden können, wie viel Freiraum man sich nimmt. Das muss zur Persönlichkeit, aber auch zur Situation passen. Ein Modell, das hier sehr sinnvoll eingesetzt werden kann, ist das PAEI-Modell von Ichak Adizes. Dabei steht PAEI für die vier Grundtypen dieses Modells (Producer, Administrator, Entrepreneur und Integrator). Für eine erfolgreiche Innovation, also eine Dienstleistung oder ein Produkt, das für den Kunden neu ist und Nutzen stiftet (und deshalb auch gekauft wird), entsteht nur, wenn eben nicht nur die tolle Idee da ist, sondern auch alle anderen Phasen bis zu Produktreife erfolgreich gemeistert werden.

Vertrauen (20:40)

Andreas fragt dann, welche Bedeutung Vertrauen zwischen den Akteuren im Unternehmen hat. Er macht bereits die Vorlage, indem er sagt, dass aus seiner Sicht Vertrauen so etwas ist wie „der Leim, der alles zusammenhält“. Für mich ist das wahrscheinlich die wichtigste, fundamentale Entscheidung beim Aufbau von Teams, Abteilungen oder Unternehmen, ob ich als Grundprinzip Vertrauen oder Misstrauen annehme. Das hat sehr deutlich etwas mit meinem Menschenbild zu tun, nämlich ob ich nach der X-Y-Theorie von Douglas McGregor an Theorie X oder Theorie Y glaube. Aber Vertrauen ist gleichzeitig etwas, das in der richtigen Balance mit der nötigen Kontrolle stehen muss. Dies aber nicht im Sinne der Überwachung aus einer Haltung des Misstrauens heraus, sondern im Geiste einer wertschätzenden Anerkennung. Also gerade nicht Laissez-Faire, sondern unterstützende Nachfrage („Brauchst Du Hilfe?“) und genügend Zeitkontingent bei Fragen auch Hilfestellung geben zu können. Gleichzeitig ist Vertrauen ein sehr starkes Mittel gerade im Umgang mit sozialer Komplexität (nach Niklas Luhmann ist Vertrauen ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“). Es hilft mir, Kontrollen auf das nötigste zu reduzieren und auf der normativen oder strategischen Ebene partizipativ zu führen, die jeweilige operative Ebene aber den Mitarbeitern zu überlassen.

Kontrolle (24:50)

Als sinnvolle Form der Kontrolle und Hilfestellung bringe ich dann Feedback ins Gespräch. Gerade im eher coachenden Führungsstil (aber ohne „der persönliche Coach“ des Mitarbeiters zu sein – das geht einfach nicht) ist Feedback das Führungsinstrument der Wahl. Beginnend mit der sorgfältigen Delegation (insbesondere unter Vermittlung des Sinns der Aufgabe, des „Ziels hinter dem Ziel“) über die wertschätzende Anerkennung ist Feedback gut geeignet, wie ein Spiegel dem Gegenüber die Wirkung seiner Leistung und letztendlich seines Verhaltens zu zeigen. Das muss auch ausgewogen und differenziert sein, sonst kommt es einfach nicht an.

Rekrutierung (28:00)

Die letzte Frage von Andreas Zeuch zielt auf die Input-Kontrolle, also die Frage der wirksamen Rekrutierung. Damit spricht er natürlich mein Lieblingsthema an. Für mich ist die sinn- und wirkungsvolle Rekrutierung im Sinne einer echten Auswahl das A und O des Personalmanagements. Nur wer sich bei der Rekrutierung bemüht, die besten Mitarbeiter zu finden und lieber mal auf den wirklich passenden wartet, statt den nächstbesten zu nehmen, kann echte Hochleistungsteams aufbauen. Dabei geht es zum einen um die Passung zum Team und zur Aufgabe. Und zum anderen geht es nicht um die so viel gerühmten „Talente“, also die vermeintlichen High Performer von den Elite-Universitäten, die mit glänzenden Zeugnissen und den üblichen Zertifikaten, Auslandsaufenthalten und sonstigen Zusatzqualifikationen zu glänzen wissen – jedenfalls nicht nur. Natürlich braucht man auch die Stars, die können dann schon den Unterschied in einem Team ausmachen. Die können aber auch ein Team am Ende herunterziehen, wenn sie es nicht schaffen, sich ins Team zu integrieren. Echtes Talentmanagement ist deshalb nach meiner Einschätzung viel wirkungsvoller, wenn es als oberstes Ziel die Gesamtleistung eines Teams im Auge hat und nicht die einsame Spitzenleistung eines Einzelnen (s. dazu auch mein Artikel „Talentmanagement – mehr als nur eine Rekrutierungsstrategie“ in „Digitale Fachbibliothek Human Resource Management“, Symposion Verlag).

Fazit

Das Interview hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, vielen Dank nochmal an Andreas Zeuch für das schöne Interview und die vielen spannenden Themen, die wir ansprechen konnten. Da wir in vielen Fragen ähnlich „ticken“, werden wir sicherlich in Kontakt bleiben und uns austauschen. Vielleicht gibt es auch eine Fortsetzung des Interviews…

Bitte um Feedback

Ich würde mich natürlich freuen, liebe Leser, wenn Sie mir zu dem Interview und meinem Blog ein Feedback geben würden. Also, wie liest sich der Blog oder wie hört sich das Interview? Feedback gerne einfach als Kommentar eintragen. Vielen Dank!

Sucht Euch gute Chefs!

Inspiriert durch einen sehr schönen Blogbeitrag von Roland Kopp-Wichmann, einen von mir sehr geschätzten Führungskräfte-Coach und -Trainer, habe ich mir ein paar Gedanken zur Qualität von Führung und das ständige Jammern darüber gemacht. Heraus gekommen ist für mich der Aufruf an alle Mitarbeiter „Sucht Euch gute Chefs!“ (übrigens wird „Chef“ hier immer als Sammelbegriff für „Chef oder Chefin“ verwendet). Das ständige Gejammer über die mangelnde Qualität in den Führungsetagen, das gerade wieder sehr in Mode zu sein scheint, geht mir irgendwie auf die Nerven. Warum?